Die Voraussetzungen für die Ökoroutine sind günstig. Denn der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm. Fast zwei Drittel der Bundesbürger halten den Umwelt- und Klimaschutz für eine grundlegende Bedingung zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben wie beispielsweise die Globalisierung. Knapp die Hälfte aller Befragten hält Umwelt- und Klimaschutz zudem für eine grundlegende Voraussetzung, um den Wohlstand zu sichern, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten und Arbeitsplätze zu schaffen. Und fast drei Viertel zeigen sich beunruhigt, wenn sie daran denken, in welchen Umweltverhältnissen unsere Kinder und Enkel-kinder wahrscheinlich leben müssen. Rund 95 Prozent der Europäer sagen, dass Ihnen der Schutz der Umwelt wichtig ist. Drei Vierte der EU-Bürger sind der Meinung, dass Umweltbelange ähnliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben, wie Wirtschaftsbelange. Fast drei von fünf glauben, dass Umweltfaktoren bei der Bewertung von Fortschritt als Wirtschaftskriterium wie das Bruttoinlandsprodukt betrachtet werden sollten. Und 85 Prozent können sich vorstellen, einen wichtige Rolle im Umweltschutz zu übernehmen.
Und dennoch tun wir nicht, was wir für richtig halten. Das haben die einleitenden Kapitel deutlich gezeigt. Die widersprüchliche Kombination aus sehr hohem Umweltbewusstsein und
verschwenderischem Lebensstil erlaubt letztlich nur einen Schluss: Der Einzelne ist mit der Bewältigung von komplexen Problemlagen wie dem Klimaschutz überfordert. Die persönlichen
Handlungspotenziale scheinen zu geringfügig, um etwas großes bewirken zu können. Das liegt auch daran, dass die kulturellen Normen, Symbole, Werte und Traditionen, die uns umgeben, quasi
naturgegeben erscheinen. Der Appell zur Einschränkung oder zur bloßen Änderung von Gewohnheiten kommt in einer Konsumkultur der Aufforderung gleich, mit dem Atmen aufzuhören. Für einen kurzen
Moment ist das möglich, aber dann werden wir japsend nach Luft holen: Fleisch essen, Auto fahren, fliegen oder in überdimensionierten Häusern wohnen. Das sind keine dekadenten Entscheidungen,
sondern einfach natürliche Bestandteile des Lebens. Der verschwenderische Umgang mit Ressourcen bleibt Routine. Doch Routinen können sich ändern.
Das Konzept der Ökoroutine möchte auf Basis des hohen Umweltbewusstseins Standards verbessern, Limits festlegen und Anreize schaffen.
Diese Analyse ist der Ausgangspunkt für das Konzept der Ökoroutine. Als Routine bezeichnen wir das, worüber man nicht mehr nachdenkt. Routinen sind nützlich. Zum Beispiel lenken Autofahrer ihr
Gefährt, ohne die einzelnen Handlungsabläufe zu planen. Schon ein simpler Fahrstreifenwechsel bringt einen beträchtlichen Koordinierungsaufwand mit sich: Kuppeln, schalten, blinken,
Schulterblick, lenken, Geschwindigkeit kontrollieren, all das geschieht gleichsam unbewusst. Beim Fahren können wir uns unterhalten oder auch auf anspruchsvolle Hörspiele konzentrieren. Zugleich
gibt es Strukturen, etwa die Straßenverkehrsordnung, an die sich alle Verkehrsteilnehmer halten müssen.
Strukturen ändern, satt Menschen
Alles um uns herum wird durch unsere Alltagshandlungen, Gewohnheiten und Routinen bestimmt. Routinen geben Sicherheit. Krisenzustände schaffen Unsicherheit und stellen Routinen in Frage. Wenn
beispielsweise gefährliche Keime im Rindfleisch entdeckt werden, ändern die Menschen rasch ihr Einkaufsverhalten – zumindest vorrübergehend. Die Politik reagiert oftmals mit gesetzlichen
Maßnahmen, also strukturellen Veränderungen. Durch neue Strukturen entwickeln sich neue Routinen. Nur mit Routinen lässt sich der Alltag bewältigen.
Doch Routinen können sich auch ohne Krisenzustände und Katastrophen wandeln. Wenn sich die Strukturen allmählich ändern, beeinflusst das unsere Alltagshandlungen. Das muss nicht immer ein
bewusster Prozess sein. Wenn die Waren im Lebensmittelmarkt durch Standards Jahr für Jahr weniger Schadstoffe beinhalten, dann kaufen die Menschen andere Produkte. Damit wandelt sich letztlich
auch die Routinen. Dass die Kunden gar keine bewusste Entscheidung getroffen haben, spielt dabei keine Rolle. Es kommt immer wieder vor, dass der Gesetzgeber bestimmte Vorgaben etwa für
Antibiotika in der Tierhaltung macht, von denen die Bürgerinnen und Bürger nichts ahnen. Routinen können sich unbewusst ändern. Es ist möglich, dass sich ökologische Produktions- und Konsummuster
quasi verselbständigen.
Und so hat Ökoroutine zum Ziel, dass wir umweltfreundlicher leben, ohne jede Einzelne Entscheidung zu überdenken. Wenn wir keine weiteren Startbahnen und Straßen bauen, lässt sich die Expansion
der Luftfahrt und des Lkw-Verkehrs begrenzen, ohne, dass einzelne Spediteure, Touristen oder Piloten darüber nachdenken müssen. Mit Standards lässt sich der Höchst-verbrauch der gesamten
Automobilflotte festlegen und schrittweise mindern. Durch Geschwindigkeitsbegrenzungen, Rückbau von Parkplätzen, Stellplatzgebühren und attraktive Radwege können wir den Umstieg aufs Fahrrad in
solcher Form begünstigen, dass das Radeln zur Routine wird. In Kopenhagen steigen die meisten Menschen ohne weiteres Nachdenken aufs Rad. Viele besitzen längst kein eigenes Auto mehr. Öko ist
dann Routine.
Gleichwohl macht Ökoroutine verantwortungsvolle Entscheidungen nicht überflüssig. Ob die Menschen ihr Auto abschaffen, der Fahrstil und die länge der zurückgelegten Wege, all das bleibt weiterhin eine persönliche Ermessensentscheidung. Man kann Ökolandbau zum Standard machen, wie viel Fleisch wir essen und wie viel Lebensmittel in den Müll kommen, dass bestimmen die Menschen auch bei 100 Prozent Öko selbst. Nach wie vor braucht es daher über die Standards und Limits hinaus finanzielle Anreize, Bildungsarbeit und Kampagnen.