Es ist zu schön, um wahr zu sein. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sorgt sich um das Tierwohl. Mir fällt schwer, das ernst zu nehmen. In traumatischer Erinnerung ist mir ein Video zur Grünen Woche 2020. Eine junge Frau schiebt ihren Einkaufswagen im Supermarkt, glückliche Rinder, ein Bienenschwarm. Die Ministerin sagt: „Mit unseren Einkaufsentscheidungen und unseren Geldscheinen können wir einiges mitbestimmen, zum Beispiel mehr Tierwohl oder die Produktionsbedingungen … Du entscheidest.“ So könnte man gut das Motto ihrer Amtszeit überschreiben. Sie hat es sich sehr leicht gemacht.
Die Ministerin muss sich in ihrer Logik gar keine Gedanken um Qualhaltung machen. Alle Verantwortung lädt sie bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ab, für die sich ihr Ministerium eigentlich
starkmachen sollte und verwechselt leider Konsumentscheidungen mit Politikgestaltung. Leider ist es so, dass die Mehrheit sehr gut das Leid der Schweine verdrängen kann, deren Fleisch zum
Dumpingpreis auf dem Grill liegt. Der darf gerne auch mal 600 Euro kosten. Wie es scheint, sind die Herren am Grill damit überfordert, ihre guten Absichten im Alltag zu beherzigen.
„Man müsse die Leute mitnehmen“, sagen Politikerinnen und Politiker oft. Bei der Agrarwende ist es wohl eher umgekehrt. Umfragen zeigen, dass sich mindestens drei Viertel der Wählerinnen und
Wähler bessere Standards wünschen. Doch die Landwirtschaftsministerin und ihr Ministerium verstehen sich als Lobbyisten der industriellen Tierhalter.
Wachsen oder weichen. Kleine Höfe machen dicht, die Nahversorgung schwindet. Ganz bewusst haben unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter die Landwirte einem extremen Wettbewerbsdruck
ausgesetzt.
Seit Amtsantritt bekämpft die Ministerin jede Maßnahme, die das Leid der Tiere in hiesigen Industrieställen lindern soll. Den qualvollen Kastenstand wollte sie für viele weitere Jahre zulassen,
ebenso die betäubungslose Kastration von männlichen Ferkeln und das Kupieren von Schwänzen. Tiertransporte in Drittländer werden anscheinend nicht mal als Problem anerkannt und selbst die
hilflose Kennzeichnung zum Tierwohl durfte nicht verpflichtend sein. Aktivistinnen und Aktivisten, die Missstände in der Tierhaltung aufdecken, möchte sie härter bestrafen und lehnt es ab,
Direktzahlungen abzuschaffen oder für Großbetriebe zu begrenzen.
Und nun „treibe ich den Umbau der Tierhaltung voran“, sagt Julia Klöckner, wohl wissend, dass vor der Bundestagswahl nichts entschieden wird. Die Umsetzung einer Abgabe oder Fleischsteuer ist
nicht so einfach wie es klingt. Man will prüfen, unter welchen Umständen eine Abgabe oder Steuer angemessen ist. Das kann dauern.
Es ist absehbar, dass die Fleischsteuer eine Gerechtigkeitsdiskussion entfachen wird. „Fleisch darf kein Luxus werden“, sagt die Ministerin vorsorglich. Problematisch ist zudem, dass man hier
wieder beim Individuum ansetzt, der persönlichen Kaufentscheidung. Notwendig sind strukturelle Reformen, die bei der Produktion ansetzen statt bei der Konsumtion.
Wollte die Ministerin etwas für mehr Tierwohl tun, würde sie etwa den Standard für den Auslauf im Schweinestall anheben. Es gibt bereits zahlreiche Vorschriften zur Bodenbeschaffenheit und den
Platzbedarf pro Tier. Demnach müssen mindestens 0,75 Quadratmeter für ein Mastschwein zur Verfügung stehen.
Naheliegend ist ein Fahrplan zur Ökohaltung. Schrittweise müsste die Bundesregierung diesen Standard anheben, bis die Ökohaltung eine Selbstverständlichkeit ist: Der Auslauf im Stall liegt dann
bei 1,3 Quadratmetern und zusätzlich gibt es einen Quadratmeter Auslauf im Freien.
Realistisch ist so ein Fahrplan, würde ihn die EU-Kommission beschließen. Julia Klöckner müsste bei den anderen EU-Staaten für höhere Standards werben, statt diese zu bekämpfen. Gewiss, das gibt
es nicht zum Nulltarif. Und die Landwirtinnen und Landwirte dürfen damit nicht zusätzlich belastet werden. Für den Umbau muss die Gesellschaft aufkommen. Aber dessen Finanzierung lässt sich
leichter über den Bundeshaushalt bestreiten als durch eine Abgabe, die in Endlosschleife geprüft wird. Zumal sich die Einnahmen vermutlich nicht zweckgebunden an die Landwirte leiten
lassen.
Heute ist Biofleisch so teuer, dass es sich arme Menschen kaum leisten können. Doch die Kosten gehen zurück, wenn respektvolle Tierhaltung der Normalfall ist. Entscheidend wird sein, dass alle
Beteiligten die Chance haben, sich auf die Agrarwende einzustellen. Profitieren werden am Ende Landwirtschaft und Konsumenten.
Dier Blog erschien als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau.