In der Umweltbewegung hat man lange geglaubt, Bürgerbeteiligung ist automatisch gut für den Umweltschutz. Das ist nicht so. Das erste mal begegnete mir diese Erfahrung Mitte der 1990er Jahre, ich habe in Oldenburg noch Umweltpolitik studiert.
In München sprach sich damals die ansässige Lokale Agenda 21 Initiative für einen Autobahn Tunnel in der Landeshauptstadt aus. Immer wieder gibt es solche Nachrichten.
In Berlin votierten die Bürger*innen dagegen, den Flughafen Tegel nach Fertigstellung des BEE zu schließen. Anwohner kämpfen gegen den Umbau eines Parkstreifens zu einem Radweg und
Autoenthusiasten gegen eine Busspur. Es kommt auch häufig vor, dass Bürger*innen lieber auf eine Baumpflanzung verzichten als auf einen öffentlichen Parkplatz vorm Haus – auch wenn sie ihren
Wagen im Hinterhof abstellen können oder über eine Garage verfügen.
Das sind schon frustrierend Momente. Zwar begrüßt die breite Mehrheit die Vision einer autoarmen Stadt. Das ganze Blech, der Lärm und Gestank ist ja auch äußerst unangenehm. Aber wehe, vor der
Haustür soll sich etwas ändern.
Und so konnte auch die Schlagzeile von der TAZ nicht überraschen. »Autofans stoppen Tramprojekt«
Wiesbaden wird laut Bürgerentscheid keine Straßenbahn bekommen. Und das Gegenargument, bitte gut festhalten, für die Tram würden zu viele Parkplätze geopfert.
Tja, offenbar sind Politikerinnen gar nicht so unfähig wie Kritiker behaupten. Vielmehr hakt es nicht selten an der Unfähigkeit der Bürger, sich eine andere Mobilität vorzustellen, überhaupt an
der Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren.
Im Stadtrat waren sich die großen Parteien einig, was selten genug vorkommt. SPD, CDU und Grüne haben für das Projekt geworben. Noch dazu Fridays for Future, der Allgemeine Deutsche
Fahrradclub, auch die Industrie- und Handelskammer und der Deutsche Gewerkschaftsbund.
Doch in Wiesbaden stimmten 62 Prozent gegen und nur 38 Prozent für das Projekt. Die Beteiligung war mit 45 Prozent hoch. Leider überwiegte die Dummheit und das nicht mal knapp. Tut mir leid, aber
das wird man ja wohl sagen dürfen. Jetzt wird man einwenden, die Menschen waren nicht gut genug informiert, man muss die Leute mitnehmen la, la, la.
Sorry, wenn die drei großen Parteien und top organisierte Verbände für eine Stadtbahn trommeln, dann mangelt es bestimmt nicht an Informationen und werbenden Gesprächen. In Würzburg weigern sich Anwohner gegen die Verlängerung einer Straßenbahnlinie. Ich möchte gar nicht wissen, wo noch zukunftsfähige Mobilitätsprojekte blockiert werden.
Soweit mein nachdenklicher Blog zum Sonntag. Ich wünsche Euch eine schöne Woche.