Der Dieselskandal und die Tatsache, dass die Emissionen der Autos weit höher sind als bisher proklamiert, haben nicht nur die Autoindustrie unter Druck gesetzt. Auch die Politiker in den Stadträten sowie Landes- und Bundesparlamenten sollen nun Antworten liefern. Die Anforderungen und Ziele sind klar, nur nicht die Maßnahmen, mit denen sie erreicht werden können.
Die Politiker sehen sich damit konfrontiert, dass fast alle Wähler ein Auto besitzen. Und diese Wähler leben meist in einer persönlichen Rollenschizophrenie: Als Stadtbewohner verlangen Sie, dass endlich etwas gegen Lärm und Schadstoffe unternommen wird. Als Autofahrer werden sie stinksauer, wenn die Fahrt zur Arbeit durch eine Tempo 30 Zone verlangsamt würde.
Politiker reagieren darauf mit ebenso widersprüchlichen Postulaten. Sie möchten den Eindruck erwecken, man werde das Problem jetzt richtig anpacken und rasch Maßnahmen gegen Lärm und
krankmachende Luft in den Städten umsetzen. Aber zugleich lehnen viele Entscheidungsträger und die Anhänger einer autofreundlichen Politik jedwede Einschränkung für den Autoverkehr ab. Doch diese
radikale Abwehrhaltung wird maskiert, durch geschickte Verwendung von politischen Symbolbegriffen.
Sehr beliebt sind zum Beispiel Formulierungen, in denen es heißt, man wolle ideologiefrei über Verkehrsplanung diskutieren. Dieser Begriff hat Konjunktur und wird in vielen Städten von
Autofreunden verwendet. Wer sich für Maßnahmen ausspricht, die dem Autoverkehr Restriktionen auferlegen und sich damit für mehr Grün und weniger Lärm verwendet ist ein Ideologe. Die Gegner von
Fahrverboten sind hingegen vernünftig und undogmatisch.
Das ist ein ziemlich cleverer Formulierungstrick. Auto, Rad und Bus müssten zudem gleichberechtigt sein. Beide Begriffe, ideologiefrei und gleichberechtigt, werden auch im
Koalitionsvertrag der neuen NRW-Regierung verwendet.
Ist also ein Ideologe, wer sich stark macht für Radler, Fußgänger und Nahverkehr? Politisch korrekt ist dieser Vorwurf kaum. Über 40 Jahre haben Politik und Verwaltung das Leitbild der
autogerechten Stadt verfolgt. Viele Planer tun es noch bis heute. Ist diese über Jahrzehnte währende und bis heute allgegenwärtige Straßenbaupolitik »ideologiefrei«? Sie steht für Enteignung,
Lärmzunahme und landschaftliche Zerschneidung. Das Leitbild einer menschengerechten Stadt will genau das Gegenteil. Es ist innovativ, visionär und verantwortungsvoll gegenüber unseren Enkeln.
Ebenso irreführend ist die Formulierung, man wolle die verschiedenen Verkehrsträger »gleichberechtigt« behandeln. Maßnahmen zur Förderung von Rad und Bus sind gut, solange sie den MIV
nicht einschränken. Mehr Platz für Radler und Fußgänger ist also eine Benachteiligung und damit nicht gerecht. Da drängt sich die Gegenfrage auf: Ist es denn gerecht, dass zwei Drittel der
Verkehrsfläche ausschließlich von Autos genutzt wird. Ist es fair, dass ein Wagen soviel Platz verbraucht wie sechs Fahrräder und acht Fußgänger? Und wie gerecht sind die Lärm- und
Schadstoffbelastungen der Kraftwagen in unseren Städten verteilt zwischen armen und reichen Menschen? Ist es hinnehmbar, das täglich ein Radfahrer im Straßenverkehr getötet wird?
Es ist in einer Demokratie legitim, Verkehrspolitik durch die Windschutzscheibe zu betrachten. Es ist jedoch ziemlich unverfroren, das als gerecht und ideologiefrei zu bezeichnen.